Claudia Buhlmann: «Wo nicht Mistus, da nicht Christus»

Um diese Zeit, jetzt Anfang Mai, erinnere ich mich oft und gern an meinen Schulweg. Normalerweise fuhr man mit dem Schulbus ins Nachbardorf. Manchmal, wenn der Bus ausfiel oder der Unterricht früher endete, durfte man mit Erlaubnis der Eltern zu Fuss nach Hause gehen. Der Weg führte an Feldern und alten Bäumen vorbei, über Wiesen, die im Mai voller Blumen standen.

Nur Himmel und Erde

Ich pflückte Sträusse von Kuckuckslichtnelken, Löwenzahn und Butterblumen oder wie die Berner sagen «Ankebälleli» und brachte sie nach Hause. Manchmal legte ich mich ins Gras und schaute in den Himmel. Die Wolken zogen dahin, waren weiss und wie ich dachte: bestimmt so weich, wie Federbetten. Die Landschaft, in die ich hineingeboren und aufgewachsen bin, ist weit. Man könnte sagen: es gibt dort nur Himmel und Erde.

In meiner neuen Heimat ist das anders. Hier gibt es natürlich auch Himmel und Erde, aber dazu noch Berge und Täler, Hügel, Seen und Flüsse. Erinnern Sie sich noch an den Schulweg ihrer Kindheit? Wie sieht ihre erste Heimat aus? Haben Sie sich vielleicht auch auf den Weg gemacht und an einem anderen Ort ein neues zu Hause gefunden? Das Wort Heimat gibt es nicht in der Mehrzahl und doch haben viele Menschen mehr als nur eine Heimat. Das müssen nicht immer Landschaften oder Orte sein. Heimat sind auch Menschen.

Gemeinschaft kann Heimat sein

Für die Männer und Frauen, von denen die Evangelien erzählen, bedeutete das Zusammensein mit Jesus Heimat. Mit ihm unterwegs zu sein, hat sie verbunden. Sie wuchsen zusammen, wie die Blumen auf einer Wiese, wie die Bäume im Wald. Gemeinsam haben sie viel erlebt. Sie sind über gepflasterte Strassen und staubige Feldwege gegangen. Sie sind mit Booten über den See gefahren, haben Lachen und Weinen, Brot und Wein geteilt. Sie haben manchen Sturm erlebt, sich gestritten, wieder versöhnt und die Erfahrung gemacht: was sie verbindet, ist stärker als alles, was sie trennt. Verrat und Tod konnten ihrer Freundschaft nichts anhaben. Als sie sich am Karfreitag total allein fühlten, hat das Wunder der Auferstehung sie neu miteinander verbunden.

40 Tage ist Jesus, der Auferstandene, nach Ostern mit seinen Freunden zusammen gewesen, so erzählt es Lukas, der Evangelist. Ob sie versucht haben, jeden dieser Tage in die Länge zu ziehen? Die Stunden, die Minuten des Zusammenseins mit Jesus mit jedem Atemzug in sich aufzunehmen?

Aufgefahren in den Himmel

Aber dann war er da, der Moment des endgültigen Abschieds, von dem die Apostelgeschichte als «Christi Himmelfahrt» erzählt. Lukas schreibt, dass Jesus seine Lieben um sich versammelt, mit ihnen spricht, sie segnet und dann vor ihren Augen auf einer Wolke in den Himmel fährt. Die Jünger und Jüngerinnen blicken Jesus nach. Ihre Köpfe haben sie in den Nacken gelegt. Die Augen schauen nach oben. Blendet sie das Licht? Der Abschied fällt ihnen schwer und ihre Blicke, so stelle ich es mir vor, kleben förmlich am Himmel. Plötzlich reissen Stimmen die Menschen aus diesem Bild. Da stehen zwei Männer in weissen Kleidern und sagen: «Ihr Menschen, was schaut ihr in den Himmel, Jesus hinterher, der von euch weg gegangen ist. Wendet eure Blicke! Jesus wird wieder zu euch zurückkommen.»

Christi Himmelfahrt, ein Feiertag?

Nur das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte beschreiben diesen Abschied. Lukas, dem wir auch die bekannte Weihnachtsgeschichte (die mit den Hirten und dem Stall von Bethlehem) verdanken, hatte ein Interesse daran, das Kommen und Gehen von Jesus, für uns Menschen hier auf der Erde sichtbar zu machen. In unseren Kirchen wird Christi Himmelfahrt, «Auffahrt» wie wir in der Schweiz sagen, nicht mit besonderen Festlichkeiten begangen. Nicht einmal in allen europäischen Ländern ist «Auffahrt» ein Feiertag. In ländlichen Gegenden wurden an diesem Tag die Felder gesegnet, die Weinberge und Wiesen begangen und für eine gute Ernte gebetet. Was machen Sie am heutigen Tag? Sind Sie unterwegs? Bedeutet Ihnen «Auffahrt» etwas? Blicken Sie heute öfter als sonst zum Himmel? 

Ein freier Tag geniessen

Wahrscheinlich werden sich viele Menschen heute einen schönen Tag machen. Sie werden den freien Tag mitten in der Woche geniessen. Manche von Ihnen stehen vielleicht schon in der Küche, um eine Feiertagsessen zu kochen. Dann decken sie den Tisch, legen eine weisse Tischdecke auf und freuen sich auf das Zusammensein mit der Familie. Andere wandern über Wiesen, Felder, in den Bergen, allein, mit Freunden oder mit der Wandergruppe der Kirchgemeinde. Ich finde das wunderbar, denn mit all diesen guten Dingen und wohltuenden Unternehmungen holen wir uns ein Stück Himmel auf die Erde.

Nicht umsonst sagen wir, wenn etwas besonders gut schmeckt oder besonders schön ist: das ist himmlisch. Und so finde ich es an Auffahrt ganz besonders schön, bewusst «himmlisch» unterwegs zu sein.

Boten vom Himmel

Mir gefällt, dass Lukas die zwei weiss angezogenen Männer an der Himmelfahrt in Jerusalem ins Spiel bringt. Die zwei sind Boten. Und wenn Boten oder Engel in der Bibel auftreten, passiert eine Wende. Hier sind ihre Worte wie ein Weckruf. Sie geben den Menschen eine neue Blickrichtung. Sie sagen:  «Ihr Menschen, wenn ihr nur nach oben schaut, wird euch schwindlig. Ihr verliert den Boden unter euern Füssen»

Himmel und Erde verbinden

Das Leben, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, findet hier auf der Erde statt. Nur mit dem Blick zum Himmel können wir nicht leben. Wir brauchen die Verbindung zu Erde, wir müssen sehen und spüren, wohin wir unsere Schritte setzen. Wir müssen nach links und rechts schauen in welcher Landschaft und mit welchen Menschen wir unterwegs sind. Ohne den Blick zum Himmel geht es allerdings auch nicht. Und damit meine ich nicht den Blick auf das Wetter.  Wenn ich am Bach und an den Wiesen vorbei an die Aare laufe, komme ich an einem Bauernhaus vorbei. Dort steht an der Hauswand mit grossen Buchstaben geschrieben:  «Auf die Erde bauen wir, auf den Himmel trauen wir».

Wo nicht Mistus, da nicht Christus

Menschen, die fest mit der Erde verbunden sind, wissen, dass Himmel und Erde zusammengehören. Sie wissen, dass es ohne Glauben und Vertrauen und dass wir den Segen von oben brauchen, nicht geht. Nur mit dem Blick «am Himmel zu kleben» reicht aber auch nicht. Als ich Kind war, hörte ich von meinem Vater und von meinem Grossvater immer wieder den Spruch: «Wo nicht Mistus, da nicht Christus». Das bedeutet: Wo kein Mist auf den Acker kommt, ist mit Christus nicht zu rechnen. In ihrer einfachen Art haben meine bäuerlichen Vorfahren ausgedrückt, dass Mensch und Gott zusammengehören, zusammenarbeiten müssen, damit ihr Werk viele Früchte tragen kann.

Wachsen lassen, was Gemeinschaft nährt

Wenn wir uns um die Erde kümmern, den Boden pflegen, dann kann wachsen, was die Gemeinschaft nährt und stärkt. Wenn wir teilen, was wir ernten, breitet sich der Himmel in uns und um uns aus. So ähnlich hat es Jesus seinen Freundinnen und Freunden gesagt, bevor die Wolke ihn mitgenommen hat: «Ihr Lieben, vergesst nicht, ihr seid die, die am Reich Gottes auf der Erde bauen. Ihr seid die, die davon erzählen, dass Liebe nur wächst, wenn man sie teilt. «

Ich wünsche Ihnen heute freudiges Teilen, blauen Himmel, guten Boden unter den Füssen und einen Strauss mit Wiesenblumen in der Hand oder auf ihrem Tisch.  Amen.

*Claudia Buhlmann ist evangelisch-reformierte Pfarrerin und arbeitet in Münchenbuchsee und Moosseedorf

Bibelstellen: Lk 24,50-53; Apg 1,1-11

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