Gemeinschaft

Gedanken zum Sonntag, 19. August 2018 (Johannesevangelium 6,51-58)

 

Nun bin ich zum dritten Mal in dieser Kirche für den Sonntagsgottesdienst. Seit wenigen Wochen studiere ich in Paris und bin immer noch dabei, mich an die Grossstadtverhältnisse und die Sprache zu gewöhnen. Ich bin etwas zu früh und geniesse es in der grossen alten Kirche zu sitzen und die Stimmung auf mich wirken zu lassen. Da werde ich angesprochen von einer Frau. Sie fragt mich, ob ich zur Messe käme – was ich bejahe. Dann fragt sie mich, ob ich helfen würde, die Kommunion zu verteilen. Ich bin überrascht, will etwas entgegnen. Sie beschwichtigt und meint, wer mehr als zwei drei Mal hier zur Messe komme, der gehöre dazu.

Dies war im Herbst 1988. Ich bin dann ein ganzes Jahr immer wieder in St. Merry im Herzen von Paris zur Kirche gegangen. Als fremder Student angenommen und persönlich willkommen zu sein, kannte ich nicht. Dass ich mich beteiligen konnte und dazu eingeladen wurde, beeindruckte mich. Und unvergesslich bleibt mir die Messe, weil wir alle – manchmal weit über 200 Leute – mit dem Pfarrer um den Altar standen und miteinander feierten. Wir waren eine Gemeinschaft von gleichwertigen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Geschichten und Rollen.

Eben komme ich von meiner Wanderung aufs Stanserhorn zurück. Noch halbdunkel war es, als ich zu Hause aufgebrochen bin. Ich geniesse es, ganz allein zuerst durch den Wald und dann über steile Wiesen und Planggen auf unseren Hausberg zu steigen. Wenn ich so unterwegs bin und bei einer kurzen Verschnaufpause in die Bergwelt des Berneroberlands schaue, dann erfüllt mich ein tiefes Gefühl der Freiheit – ohne Sorgen. Mit jedem Höhenmeter, den ich mache, wird eine innere Freude verstärkt. Ich bin zwar allein, brauche und geniesse es, aber die Sicht in die Tiefe und die Weite strahlt so einen Frieden aus, der mich zum Teil des Ganzen werden lässt und doch Bodenhaftung gibt. Und alles ist in Ordnung.

Diese beiden Erinnerungen tauchen auf, wenn ich das heutige Evangelium lese. Nein – sie finden sich nicht direkt im Text. Ich finde sie auf einem Umweg. Wie der Autor des Textes, wir nennen ihn Johannes, spricht, ist mir zwar von der Tradition bekannt, aber gleichwohl fremd. Das Bild von Fleisch und Blut liegt mir nicht und ich brauche einiges an Zeit, dem auf die Spur zu kommen, was gemeint sein könnte.

Kann es sein, dass meine Erfahrung beim z’Bärg gehen nicht eine Vorahnung sein können von dem, was als himmlische Gemeinschaft von Johannes erzählt wird? Ein Urvertrauen mit Gott, Sohn und Geist? Und geht es dem, was Jesus und seine Freundinnen und Freude teilten, im Ursprung des Abendmahls nicht darum, was mich seit 30 Jahren nie losgelassen hat?

Thomas Wallimann-Sasaki ist Theologe und Sozialethiker. Er leitet das Institut für Sozialethik «ethik22» in Zürich und ist Präsident a.i. der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz.