Reinen Wein einschenken!

Gedanken zum Sonntag 20. Januar 2019 (Johannesevangelium 2,1-11)  

 

Dem Johannesevangelium setzt Jesus gleich zu Beginn seiner Predigttätigkeit ein Zeichen, indem er in Kana einer fidelen Hochzeitsgesellschaft den Wein stiftet. Genauer gesagt, als guter Wirt verwandelt er sechs Riesenkrüge voller Wasser in Wein. Wobei es sich erst noch um eine Spätlese handelt; der Wein wird ja erst im allerletzten Augenblick produziert.

Damit gibt der Evangelist zu verstehen, was Jesus von den Seinen erwartet, nämlich dass auch sie Wasser verwandeln in Wein.

Wasser zu wandeln in Wein, das ist der Auftrag, der an die Kirche erging. Dass die Kirche einer nach Sinn und Orientierung suchenden Menschheit den Wein des Evangeliums zumeist bloss in verwässerter Form verabreicht, hängt damit zusammen, dass sie keine abstrakte Grösse darstellt, sondern sich ausnahmslos aus sündigen Menschen zusammensetzt, deren moralische Grenzen und geistige Beschränktheit manchmal so offenkundig sind, dass nur Verblendete dies nicht wahrnehmen können.

Diese Kirche, die das von Jesus angekündigte Heil nicht nur verkündete, sondern, wenn auch nur annähernd, verkörperte, war oft dermassen geblendet von der ihr gelehrten Wahrheit, dass sie darüber die Zeichen der Zeit übersah.

Die Kirchenväter sprachen gelegentlich von der Ecclesia semper reformanda, von der durch die Zeiten hinkenden, stets reformbedürftigen Kirche. Ihr Ziel hat sie erst erreicht, wenn sie überflüssig wird, nämlich am Ende der Zeiten. Stets besteht die Gefahr, dass sie sich insgeheim selber zum Zweck erklärt, wo sie doch bloss Mittel ist, und das heisst nichts anderes, als dass sie ganz und gar im Dienst der Menschen stehen müsste, die allesamt ein Recht darauf haben, dass man ihnen reinen Wein einschenkt.

Der grosse Hieronymus (er lebte im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung) scheint das sehr gut verstanden zu haben. Als einst einer zu ihm kam und bezüglich der Geschichte von der Hochzeit zu Kana seine Zweifel anmeldete, fragte ihn der berühmte Bibelübersetzer und Kirchenlehrer nach dem Grund. «Nun, das war ja eine unglaubliche Menge Wein!», war die Antwort. Hieronymus greift sich in seinen langen Bart, mit dem er immer abgebildet ist, überlegt einen Augenblick und sagt nachdenklich: «Allerdings. Wir trinken ja heute noch davon.»

 

Josef Imbach ist Verfasser zahlreicher Bücher. Er unterrichtet an der Seniorenuniversität Luzern und ist in der Erwachsenenbildung und in der Seelsorge tätig.