«Zu viele Konzerne operieren in einem quasi rechtsfreien Raum»

Interview mit Bernd Nilles, Geschäftsleiter Fastenopfer

Mit der Übernahme der Geschäftsleitung von Fastenopfer, wurde Bernd Nilles auch zum überzeugten Verfechter der Konzernverantwortungsinitiative. Im Interview mit Tiziana Conti begründet er, warum es am 29. November unbedingt ein Ja braucht.

Tiziana Conti: Fastenopfer ist eine der Trägerorganisationen, der 2016 gestarteten Initiative zur Konzernverantwortung. Warum dieses Engagement ?

Bernd Nilles: Seit Jahrzehnten berichten die Partnerorganisationen über schwere Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Dabei fällt auf, dass in vielen Fällen internationale Konzerne direkt oder indirekt darin verwickelt sind, nicht wenige mit Sitz in der Schweiz. Nachdem sich die Vereinten Nationen, die EU und viele einzelne Staaten diesem Thema verstärkt annehmen, geht es jetzt darum auch in der Schweiz verbindliche Spielregeln für Investitionen und Handel mit Ländern des globalen Südens aufzustellen. Fastenopfer sieht in der Konzernverantwortung eine Riesenchance, um Armut zu bekämpfen, Menschenrechte zu sichern und die Umwelt zu schützen. Drei Elemente unseres Kernauftrags als katholisches Hilfswerk.

Warum soll die Kirche eine Initiative unterstützen, bei der es in erster Linie um Politik und Wirtschaft geht?

Wenn aus Menschenrechts-Verletzungen und Umweltzerstörung kurzfristige Wettbewerbsvorteile und Gewinne resultierten, ist dies ethisch nicht vertretbar. Zwischen Menschenrechtsschutz und Gewinnstreben darf es kein Abwägen geben, das Primat der Menschenrechte ist ja der Sinn und Zweck von ihnen. Das ist auch in der katholischen Soziallehre klar verankert.  Ohne Menschenrechte bleibt die Würde des Menschen antastbar. Entsprechend hat auch die katholische Kirche bereits mehrfach bei den Vereinten Nationen interveniert: Lassen Sie mich dazu Erzbischof Tomasi, den Vatikan-Botschafter der UN zitieren, der klar begründet weshalb Transnationale Konzerne klare Regeln brauchen: «Transnationale Konzerne sind Teil der Menschheitsfamilie, und als solche sollte ihre Tätigkeit dem Standard der Menschenrechte entsprechen. Menschenrechtsverletzungen geschehen allzu oft aus völliger Vernachlässigung der Konsequenzen, die vorhersehbar gewesen wären, wenn sich jemand darum gekümmert hätte, über sie nachzudenken. Diese Art von "Vernachlässigung" ist nicht beiläufig, sondern systemisch.»

Ist das der Grund weshalb die Initiative auch von vielen Vertreterinnen und Vertretern der Kirche mitgetragen wird?

Ja, «Kirche für Konzernverantwortung» gibt dieser Sorge der Kirchen Ausdruck und ist Teil der Sensibilisierung und Mobilisierung für die Initiative. Der Verein setzt sich zusammen aus kirchlich engagierten Menschen, die das Anliegen der Initiative - die Konzerne müssen für die von ihnen verursachten Schäden geradestehen - mittragen. Kirche für Konzernverantwortung ist ökumenisch und wird sowohl von katholischen wie auch reformierten Organisationen und Menschen unterstützt. Fastenopfer gehört zu den Gründerinnen. Der Verein Kirche für Konzernverantwortung wird sich in den Kirchen, den Gemeinden und in den Lokalkomitees der Initiative engagieren und für ein Ja einstehen. Jetzt müssen alle Kräfte mobilisiert werden, um die Abstimmung zu gewinnen. Das sind wir den vielen Opfern, den Menschen in armen Ländern, aber auch zukünftigen Generationen schuldig, die von uns einen Respekt für Mensch und Umwelt erwarten dürfen. Hierbei hilft uns auch sehr, dass sich die SBK hinter die Anliegen der Konzernverantwortung gestellt hat. Auch dem Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz und zugleich Präsident von Fastenopfer, Bischof Felix Gmür, ist die Initiative und der Schutz der Menschenrechte ein grosses Anliegen.

Wo steht unsere Gesellschaft, wie schätzen Sie das derzeitige ökonomische und soziale System ein?

Viele Menschen haben erkannt, dass es so nicht weitergehen, dass unser Wohlstand nicht auf Kosten von Menschen und Umwelt erarbeitet werden kann, und dass es zu einem Boomerang werden wird der letztendlich alle trifft. Gerade die schwierige Corona-Zeit hat die Menschen sehr für ethisches Wirtschaften und Konsumieren sensibilisiert. Expertinnen und Experten erkennen hier einen klaren Trend. Papst Franziskus fordert alle Menschen und Akteure zum Dialog auf, um Entwicklung in eine neue Richtung zu lenken. Dieses Umdenken ist dringend notwendig: Wir wirtschaften über die ökologischen Grenzen des Planeten hinaus. Wenn alle Menschen wie wir in der Schweiz leben würden, bräuchten wir fast drei Planeten. Wir beuten nicht nur die Ressourcen der Erde aus, sondern überlasten auch unsere Atmosphäre und erzeugen einen Klimawandel, der weitreichende Auswirkungen auf Mensch und Umwelt hat.

Sie sprechen von Wandel, wie soll der geschehen?

Wir tolerieren eine Ungleichheit, die viele Menschen ausgrenzt vom guten Leben und einer Minderheit von zehn Prozent der Weltbevölkerung über die Hälfte des Einkommens zugesteht. Wenn wir diese Entwicklung weiterhin zulassen, gefährden wir die Zukunft der gesamten Menschheit und manifestieren Ungerechtigkeit. Es braucht einen Wandel bei den Lebensstilen aber eben auch verbindliche Regeln, an die sich alle halten müssen – wie es im Verkehr ja auch üblich ist. Dazu gehören auch Regeln für die Konzerne. Denn zuviele von ihnen haben sich jeglicher gesellschaftlichen Kontrolle entzogen und operieren damit quasi in einem rechtsfreien Raum. Deshalb am 29.November 2020 Konzernverantwortungsinitiative ja!