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Auch in der Oper wird gebetet

von Silvia Rietz

Augustinus wird das Wort zugeschrieben: «Wer singt, betet doppelt.» In der Oper wird gesungen und auch gebetet – nicht nur in Werken, die auf biblischen Stoffen gründen. Gegenwärtig zeigt das ­Theater Orchester Biel Solothurn Giuseppe Verdis «Nabucco». Eine Gelegenheit, alttestamentarische Blockbuster und Operngebete näher zu beleuchten.

Die Oper ist eine Kunstform, welche die spirituelle und religiöse Dimension miteinbezieht. Viele Opern, in denen gebetet wird, gründen auf Erzählungen der Bibel: «Samson und Dalida», «Moses und Aaron», «David und Jonathan», «Die Königin von Saba» und andere. Deren Komponisten haben für ihre Protagonisten inbrünstige, feierliche Melodien komponiert, Worte voller Demut oder Schmerz vertont und mit Gebeten Höhepunkte der Oper geschaffen. Ursprünglich drangen kirchliche Aspekte in die Werke ein, weil herkömmliche Opernaufführungen während der Fastenzeit verboten waren. Das Theater übte im 18. und 19. Jahrhundert in Italien eine soziale Funktion aus. Das gesellschaftliche Leben spielte sich in den Opernlogen ab, auch während der Quaresima – der dem Karneval folgenden Fastenzeit – mochte man nicht darauf verzichten. Deswegen erlaubte die Obrigkeit, während der Busszeit biblische Stoffe aufzuführen. Ein Kunstgriff, zu dem sich Staat und Kirche durchrangen, um die vor Ostern geschlossenen Theater zu öffnen. Um die Konventionen des Musiktheaters zu wahren, verknüpfte man die biblischen Stoffe kurzerhand mit weltlichen Handlungen, sprich einer Liebesgeschichte.  

NABUCCO – DAS FLEHEN DER HEBRÄER
Die bekannteste Oper, die auf dem Alten Testament basiert, ist Giuseppe Verdis «Nabucco». Dessen Gefangenenchor «Va pensiero» ist wohl das berühmteste Operngebet überhaupt. Das Werk thematisiert das Streben des jüdischen Volkes nach Freiheit aus der babylonischen Gefangenschaft. Im Zentrum steht der Titelheld, der babylonische König Nebukadnezar, in der Oper Nabucco genannt, der sich selbst zum Gott erheben will und daraufhin mit Wahnsinn gestraft wird. Erst als er sich zum Gott der Hebräer bekennt (Dio di giuda), zum wahren Gott, wird er geheilt. In erster Linie ist Nabucco eine fesselnde Oper mit allem, was im 19. Jahrhundert vom Musiktheater erwartet wurde: Drama, Liebe, Eifersucht, ergreifende Arien und mitreissende Chöre. Die Nebenfiguren der Oper entspringen denn auch der Fantasie des Librettisten. Fakt ist jedoch, dass das «gross-palästinensische Reich» nach dem Tode König Salomons (926 v. Chr.) in Israel und Juda aufgeteilt wurde. Juda geriet um 700 v. Chr. in assyrische und um ­
600 v. Chr. in babylonische Abhängigkeit, der viel später die persische und die römische Oberhoheit folgte. «Nabucco» schneidet aus diesem komplizierten Mosaik von Völkern und Machtansprüchen ein kleines Puzzleteilchen heraus: 597 v. Chr. führte Babylon gegen Jerusalem Krieg und besiegte das kleine Volk der Hebräer. Zehn Jahre später zogen die Heere Assyrien-Babylonien erneut gegen Juda ins Feld. Sie besetzten 587 v. Chr. die Stadt Jerusalem und nahmen den Tempel ein. Hier knüpft das der Oper zugrundeliegende Textbuch von Temistocle Solera an.  

KLAGELIEDER UND GEBETE
Eng zusammengedrängt versammeln sich Priester und Volk im Tempel von Jerusalem, beten um ein Wunder, welches sie vor den herannahenden Babyloniern retten möge. Siebenstimmige Klagegesänge erfüllen den weiten Raum, drücken Angst und Hoffnung aus. Im Vordergrund steht der religiöse Konflikt: Die babylonische Gottheit Baal ringt mit Jehova, dem Gott der Juden. Wie in allen Stücken des Abendlandes siegt der Vertreter der monotheistischen Religion, also Jehova. Bei Verdi sogar so gründlich, dass die Baal-Anhänger sich am Schluss der Oper zu ihm bekennen. Wovon die Geschichte allerdings nichts weiss. In diesem Punkt ist «Nabucco» keine historische Oper. In der Bibel nachzulesen ist jedoch, dass der Prophet Jeremia die Juden vor der Niederlage gegen die babylonischen Heere warnte. In der Originalpartitur trägt jeder Opernakt ein Zitat aus den Weissagungen des Propheten Jeremia als Überschrift. Der Glaube an Gott und die durch seine Gnade ermöglichte Wandlung dominieren das Geschehen. Und natürlich die Musik: Die Gebete des Hohepriesters Zaccaria (D’Egitto là sui lidi/Vieni, o Levita) und der Hebräer strömen so weich, rund und innig, dass der Allmächtige sie erhört. Gesänge, welche die Zuhörenden berühren, ergreifen und eine spirituelle Botschaft transportieren. Der Gefangenenchor wurde zum Synonym für Knechtschaft und Freiheit. 

MOSES IN ÄGYPTEN – BEVOR DAS MEER SICH TEILT
Auch Verdis Vorgänger Gioachino Rossini hatte mit «Moses in Ägypten» auf einen ­alttestamentarischen Stoff gegriffen. Das Werk handelt vom Auszug der Israeliten aus Ägypten und ist von einigen der faszinierendsten Einfälle Rossinis erfüllt. Zu Beginn der Oper herrscht völlige Dunkelheit, eine der zehn Plagen. Nachdem Moses betet «Eterno! Immenso! Incomprensibil dio!» wird es wieder heller Tag. Daraufhin bekräftigt der Pharao, dass die Israeliten gehen dürfen. Später widerruft er die Zusage. Erst nachdem Gott weitere Plagen schickt, ist der Herrscher bereit, die Gefangenen ziehen zu lassen. Im dritten Akt stehen Moses und seine Leute am Ufer des Roten Meeres, das ägyptische Heer ist im Anmarsch. Da kniet Moses nieder, bittet den Allmächtigen um Gnade für das Volk Gottes, welches in sein Flehen einstimmt. Als Moses mit seinem Stab das Meer berührt, teilen sich die Fluten, geben den Fluchtweg frei. Moses Gebet «Dal tuo stellato soglio» markiert den musikalischen Höhepunkt der Oper. Mit diesem Hymnus aus «Mosè in Egitto» wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Mailänder Scala wiedereröffnet. 

GEBET ALS DRAMATURGISCHER ­HÖHEPUNKT
Auch Opern, deren Handlung nicht der Bibel entlehnt sind, kennen Momente des Gebetes. Wie Pietro Mascagnis «Cavalleria Rusticana» mit dem Osterchor «Lasst uns preisen den Herrn, der erstanden ...».  Eindrücklich auch Verdis Shakespeare-Oper «Otello». Chöre von bezwingender Kraft begrüssen den Feldherren, der von Desdemona abgöttisch geliebt wird. Jagos Intrigen lassen ihn jedoch zweifeln, vor Eifersucht rasen und seine Frau erwürgen. Desdemona wird vor dem Mord von Ahnungen gequält, sucht Trost im Gebet: «Ave Maria, piena di grazia.» In jeder Note schwingt Todes­ahnung mit. Die schlichte Melodie mit altbekanntem Text berührt selbst Atheisten. Operngebete sind Gänsehautstellen, die es zu entdecken lohnt.  

Nabucco im Nebia Biel 

Das Theater Orchester Biel Solothurn zeigt Verdis «Nabucco» am 28. Februar, 2., 29. und 31. März sowie am 2. April. Alle Vorstellungen von «Nabucco» finden im Nebia in Biel statt. Das Theater befindet sich an der Thomas-Wyttenbach-­Strasse 4, drei Gehminuten vom Bahnhof Biel entfernt. Die Titelpartie wird Michele Govi singen, die Aufführungen werden von Franco Trinca dirigiert.
Infos: www.tobs.ch (srb)

Silvia Rietz ist Journalistin, Konzertveranstalterin, engagierte Christin und Redaktions­leiterin des Antoniusheftes. Sie gehört zum Redaktionsteam des «Kirchenblatt».