Editorial

Musik verbindet

Die Oper als Genre war mir lange Zeit fremd. Das Ganze wirkte auf mich zu schrill und unnatürlich. Doch dann erlebte ich in den 1990er-Jahren eine mondäne Aufführung von Verdis «Aida» in den Caracalla-Thermen in Rom. Ich war begeistert, obwohl ich nicht genau wusste, warum. 

Zu Beginn der Oper berichtet der Hohepriester Ramfis in hohen Tönen dem Hauptmann der Palastwache, dass die Göttin Isis einen Feldherrn für den bevorstehenden Krieg gegen Äthiopien bestimmt habe. Der zweite Akt ist geprägt von religiösen Tänzen und auch sonst fehlt es inhaltlich nicht an religiösen Elementen. «Dieser Verdi ist wohl ein sehr religiöser Mensch gewesen», dachte ich mir nach der Vorstellung. Doch nach dem Blick in eine seiner Biografien wurde ich eines Besseren belehrt: Der grosse Opernkomponist hatte für die Kirche nicht viel übrig. «Halte dich fern von Priestern», riet er einem Verwandten und für sein Begräbnis verbat er sich die Gegenwart von Geistlichen. Doch der gefeierte Musiker aus der Provinz Parma war beileibe kein Unmensch, denn er machte sich als Wohltäter einen Namen. So unterstützte er Notleidende und finanzierte Kindern aus armen Familien eine Ausbildung. Er stiftete in Mailand das bekannte «Casa di Riposo», ein noch heute existierendes Altenheim für Sänger und Musiker. Verdi ermöglichte sogar ein auf seine Kosten geführtes Krankenhaus – in das Priester nur aus triftigen Gründen Zutritt hatten. 

Schon der antike Philosoph Aristoteles zählt in seiner «Poetik» auf, was die Musik zu bieten hat: Sie erlaubt Vergnügen, ist Erziehungsmittel und verschafft geistigen Genuss in der Musse. Wenn Musik zu unterhalten vermag, sieht er darin nichts Verwerfliches, ist sie doch geeignet, zur Erholung von den Beschwerden und Schmerzen der Arbeit zu dienen. Dabei treten der Künstler oder die Künstlerin hinter das Werk zurück, sofern keine manipulativen Absichten vorhanden sind. Eine vollständige Trennung ist zwar nicht möglich, aber bei Verdi bereitet mir seine Biografie bis heute keine Probleme. Die Musik hat das Potenzial, Menschen und Völker zu verbinden, denn sie ist wohl die einzige universale Sprache der Welt, da sie nicht übersetzt werden muss.  

Mit harmonischen Grüssen

Reto Stampfli