«Das Schöne an der Moderne ist, dass wir frei sind zu entscheiden – auch in Bezug auf die Religion.»

Christian Höger (46) ist seit Herbst Professor für Religionspädagogik in Luzern. Er ist überzeugt: Die Menschen kommen in die Kirche, wenn Qualität geboten wird. Der ehemalige Schönstätter hat sich gegen die Priesterweihe entschieden und freut sich auf jedes Wochenende mit Frau und Tochter in Freiburg im Breisgau.

Eva Meienberg (kath.ch)

Christian Höger (46) ist so freundlich und wartet am Haupteingang der Universität in Luzern. Der Weg in den dritten Stock, wo die Theologische Fakultät beheimatet ist, ist auch für ihn noch recht neu. Seit September 2021 leitet er das Religionspädagogische Institut, das ebenfalls im ehemaligen Postgebäude an der Frohburgstrasse beheimatet ist. Dort lehrt und forscht er als Professor für Religionspädagogik und Katechetik. Geboren und aufgewachsen ist Christian Höger in Nürnberg im Bundesland Bayern. «Wir bezeichnen uns in Nürnberg nicht als Bayern, sondern als Franken und stehen in latenter Konkurrenz zu München.» Ist alles nicht bierernst gemeint. Das gilt auch für die Schadenfreude, die er empfinde, wenn der FC Bayern verliert. Das Fussballherz von Christian Höger schlägt sowieso für den SC Freiburg, den Verein der Stadt, wo er seit elf Jahren zu Hause ist.

Nesthäkchen und Bridge-Spieler

«Ich war das Nesthäkchen», erzählt Christian Höger von seiner Kindheit. Seine zwei Schwestern sind acht und zehn Jahre älter als er. Der Vater, ein promovierter Mathematiker, arbeitete bei einer grossen IT-Firma und war Präsident des deutschen Bridge-Verbandes. Als Christian Höger 14 Jahre alt ist, bringt ihm sein Vater das komplexe Kartenspiel bei. «Ich bin ein Spieler», sagt Christian Höger von sich. In seinem Büro an der theologischen Fakultät hängen drei Bilder von Christian Högers Mutter. Fotos von ihm soll ich vor einem dieser Bilder machen. «Meine Mutter hat mich bei all meinen ästhetischen Unternehmungen unterstützt», sagt der Theologe, der sich auch für Kunst interessiert.

Kirchgang aus Überzeugung

«Meine Familie ist ganz bewusst in die Kirche gegangen. Den dörflichen Zwang der 1950er-Jahre gab es in der protestantischen Arbeiterstadt Nürnberg in meiner Jugend ohnehin nicht», sagt Christian Höger. «Warum gehst du in die Kirche?», sei er von Kindheit an gefragt worden. «Ich habe das immer wieder kritisch reflektiert.» Doch für ihn sei das kirchliche Leben stimmig gewesen: Spiritualität und Gemeinschaft erleben und weitergeben. Mit zehn Jahren wurde Christinan Höger Ministrant. Auch seine Kollegin Tanja wollte Ministrantin werden. Das Argument des Oberministranten, dass Ministrieren schon immer Jungenssache gewesen sei, habe ihn damals nicht überzeugt. Ähnlich gehe es ihm heute mit manchen Argumenten gegen den Diakonat für Frauen.

Schönstattbewegung

Neben der Gruppenstunde der Ministranten besuchte Christian Höger auch diejenigen der Schönstattjugend. Die Schönstattbewegung, gegründet in Koblenz von Pater Josef Kentenich, sei eine Verbindung aus Pädagogik und Theologie, erklärt Christian Höger. Der Freiheitsbegriff der Bewegung sei ihm sehr wichtig, ebenso die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit. Das Ziel: sich selbst in seinem Glauben weiterzubringen und sich als Christ in der Welt zu engagieren. Mit der marianischen Frömmigkeit der Bewegung hatte er jedoch seine Mühe. «Ich muss nicht über Bande spielen, um mit Gott in Kontakt zu kommen.» Die Wichtigkeit der Beziehung zu Maria, daran habe er sich gerieben, ebenso an manchen konservativen Ausprägungen der Bewegung, sagt Christian Höger. Heute ist er kein aktiver Schönstätter mehr.

Architekt, Arzt, Theologe

Dass Christian Höger Theologie studieren würde, sei keines Falles klar gewesen. Vor dem Abitur wurde die Klasse in ein Berufsinformationszentrum geschickt. Gemäss seinen Interessen hätte er gerade so gut Architekt oder Mediziner werden können. «Architektur war mir dann doch zu technisch. Medizin ging nicht, weil ich kein Blut sehen kann. Mit Menschen arbeiten, das wollte ich und meinen Glauben vertieft reflektieren.» Die Studienwahl fiel auf Theologie. Mit seinem Schwager als Pastoralreferent hatte er ein berufliches Vorbild. Von 1995 bis 2001 studierte Christian Höger katholische Theologie an der Katholischen Universität Eichstätt.

Stehengebliebener Katholizismus

In der Kirche von Eichstätt begegnete ihm allerdings ein Katholizismus, der vor Jahrzehnten stehen geblieben zu sein schien. «Mich hat auch der barocke Ornat aus dem Diözesanmuseum irritiert, welchen sich der damalige Bischof Walter Mixa für die Feier im Eichstätter Dom ausgeliehen hat.» Der sei so rückwärtsgewandt gewesen wie seine Theologie. An der katholischen Eichstätter Uni sei das Denken aber erlaubt gewesen und Katholizismus gab es in seinem ganzen Spektrum von konservativ bis progressiv. «Katholisch sein ist ein Pluralismus und für mich dann attraktiv, wenn es die Moderne nicht ausschliesst», sagt dazu Christian Höger.

Entscheidung an der Pfistergasse

1997 zog es ihn zum ersten Mal nach Luzern für ein Auslandsjahr. Damals wohnte er im integrierten Priesterseminar St. Beat. «Ich wollte keine Zeit verlieren mit Sprachenlernen, sondern theologisch weiterkommen», begründet er seine Standortwahl. Auch die lebhaften Diskussionen am Kaffeeautomaten zwischen Lehrenden und Studierenden in der Pfistergasse gaben den Ausschlag für Luzern gegenüber einer grossen und anonymen Universität. Zudem nutzte er die geistliche Begleitung im St. Beat, um herauszufinden, ob er nicht doch Priester werden wolle. Nach einem Jahr war klar: er wollte nicht.

Er ging zurück nach Eichstätt, um mit Pädagogik als Doppelstudium zu beginnen. Zur Promotion ging er nach Würzburg, zu Hans-Georg Ziebertz. «Von ihm wollte ich lernen, wie man solide empirisch forscht», erzählt Christian Höger. «Abschied vom Schöpfergott?» heisst seine Doktorarbeit. Hier interviewte er Schülerinnen und Schüler am Ende ihrer Gymnasialzeit zu ihren Vorstellungen zur Entstehung der Welt – Urknall versus Schöpfung.

Schüler und Lehrer

«Bildung ist, was ich aus meinem Leben mache und was das Leben mit mir macht.» Dieser Satz seines Würzburger Pädagogik-Professors Günther Bittner begleitet Christian Höger noch heute und biete ihm auch einen Anschluss an das Schönstätter Konzept der religiösen Selbstbildung, das er bis heute verfolge. Christian Högers Bildungsweg führte ihn 2006 nach Karlsruhe, wo er nach seiner Dissertation die Stelle als Referendar für katholische Religionslehre an Gymnasien am staatlichen Seminar antrat. Von 2008 bis 2010 arbeitete er als Religionslehrer an zwei staatlichen Gymnasien in Pforzheim, wo er Schülerinnen und Schüler der fünften bis zum Abitur unterrichtete.

Was denken die Kinder?

«Die Frage nach dem Ursprung, diese philosophisch-religiöse Frage, interessiert mich persönlich sehr», sagt Christian Höger. Aber noch mehr interessiere ihn, wie andere Menschen danach fragten. Was denken die Kinder über den Ursprung der Welt und wie verändert sich ihre Sichtweise im Lauf der Zeit? Mit seiner Habilitationsschrift «Schöpfung, Urknall und Evolution – Einstellungen von Schülerinnen und Schülern im biographischen Wandel» ging er diesen Fragen in seiner Habilitation auf den Grund.

Der Gottesbegriff werde mit zunehmendem Alter der Schülerinnen und Schüler abstrakter und so auch passender mit naturwissenschaftlichen Theorien, welche die Schülerinnen und Schüler lernen. Gott lasse sich auch überpersonal denken, wie dies etwa Hans Küng vorgeschlagen habe. Da könne man von den Kindern und Jugendlichen lernen, sagt der Religionspädagoge Höger.

Tragfähige Antworten auf Glaubensfragen

«Das Schöne an der Moderne ist, dass wir frei sind zu entscheiden– auch in Bezug auf die Religion.» In der Schule sei aus religionspädagogischer Sicht wichtig, dass Kinder und Jugendliche für sich eine tragfähige Antwort auf Glaubensfragen finden könnten. «Ob diese Antworten dann christlich sind, ist pädagogisch gesehen sekundär», betont Christian Höger. Der Theologe leidet nicht an religiösen Verlustängsten, auch wenn ihn als Katholiken die Kirchenaustritte schmerzten. Wenn die Menschen nicht mehr in die Kirche gingen, dann müsse das gute Gründe haben. «Man muss in der Kirche eine gute Qualität anbieten, dann kommen Leute. Mit dem Evangelium als Botschaft muss man keine Angst haben, dass die Botschaft nicht ansprechend ist», sagt Christian Höger.

Zurück in Luzern

Die letzten elf Jahre hat Christian Höger in Freiburg im Breisgau verbracht. Als Akademischer Rat und Oberrat an der Pädagogischen Hochschule hat er dort angehende Religionslehrerinnen und Religionslehrer für die Primar- und Sekundarstufe I im Studium und in der Praxis begleitet. «Das waren erfüllende Jahre, unglaublich vielseitig in der Lehre und reich an Erfahrungen.» Dennoch hat sich der habilitierte Privatdozent auf die Luzerner Professur und die Leitung des RPI beworben. Das bedeutet mehr Verantwortung in Lehre, Forschung und Weiterbildung.

Den zweigleisigen Schweizer Weg, wie er das duale System der katholischen Kirche in der Schweiz bezeichnet, lernt Christian Höger nun gerade kennen. Als Professor für Religionspädagogik macht er angehende Pastoralassistentinnen und Pastoralassistenten, Religionspädagoginnen und Religionspädagogen sowie Katechetinnen und Katecheten fit für ihren Beruf.

Zwischen Luzern und Freiburg

Den Master Religionslehre an der Theologischen Fakultät will er ausbauen. Das Studium soll für die angehenden Mittelschullehrkräfte attraktiver werden, auch mit der Möglichkeit einer zusätzlichen Fächerkombination neben Theologie und Religionswissenschaft. Das bringt mehr Präsenz für die Lehrpersonen im Schulzimmer und bessere Bewerbungschancen an den Schulen.

Unter der Woche arbeitet Christian Höger in Luzern. Am Kühlschrank seiner Wohnung in Freiburg, wo er mit seiner Frau und seiner dreieinhalbjährigen Tochter lebt, klebt ein Wochenplan. «Darauf ist aufgezeichnet, dass der Papa unter der Woche in Luzern und am Wochenende zu Hause ist», sagt Christian Höger. Falls die Abende in Luzern einsam werden, hätte es noch einen Bridge-Club, das hat Christian Höger bereits abgeklärt.

 

© Katholisches Medienzentrum, 11.01.2022
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