«Hans Küng hätte sich als Schweizer sehr betroffen gezeigt von der Credit-Suisse-Krise»

Herr Villhauer, sind Banken aus Ihrer Sicht unmoralisch?

Bernd Villhauer*: Banken sind nicht per se unmoralisch. Es gibt aber eben solche, die moralisch agieren, und solche, die unmoralisch agieren.

Und in welche Kategorie gehört da die Credit Suisse? Es hat sich ja nicht einmal jemand offiziell öffentlich für den krassen Absturz der Bank entschuldigt.

Villhauer: Die Credit Suisse ist über Jahre hinweg durch eine toxische Führungskultur geprägt gewesen. Angefangen von der Bespitzelungsaktion eines UBS-Mitarbeiters bis zum Geldwäscheskandal. Es handelte sich bei der Credit Suisse eben nicht um Einzelfälle in dieser Hinsicht. Es war absehbar, dass die Bank an einen solchen Punkt kommen würde, weil sie sehr viel Vertrauen verspielt hat. Die Krise der CS war also in diesem Sinne hausgemacht. Andererseits kommt der Absturz der schweizerischen Grossbank in einem Augenblick, in dem auch weltweit andere Banken kriseln, und man den Eindruck gewinnen kann, dass das Bankensystem international ins Schwanken geraten könnte.

Ist für Banken aus Ihrer Sicht denn der Markt die «ultima ratio» beziehungsweise der Ersatz für die Moral?

Villhauer: Leider ist es bei vielen Banken so, dass das Management sehr abgehoben ist. Es werden Zahlen verkündet, die absurd klingen angesichts ihrer faktischen Realität. Beispielsweise wurden bei der Credit Suisse in einem Jahr 32 Milliarden Franken an Boni bezahlt, obwohl die Bank im selben Zeitraum einen Verlust von 3,2 Milliarden zu verzeichnen hatte. Der Theologe Hans-Küng würde in so einem Fall einfach Haltung seitens der Bank einfordern, Vertrauen und Transparenz verlangen.

Was würde Hans Küng denn konkret zur Credit-Suisse-Krise sagen?

Villhauer (lacht): Als Schweizer hätte sich Hans Küng betroffen über die Credit Suisse-Krise gezeigt. Hans Küng war schliesslich immer ein sehr stolzer Schweizer. Er wäre also vor allem enttäuscht gewesen. Zumal es ja nicht nur die Credit Suisse gewesen ist, die sich in den vergangenen Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Auch die UBS ist schon einmal kurz vor dem Ruin gestanden. Der Theologe würde sicher fordern, dass die ganze schweizerische Bankenlandschaft sich anders aufstellen müsste. Dass die Banken nicht nur durch grosse moralische Verlautbarungen glänzen, wie etwa die Credit Suisse auf ihrer Homepage, sondern dass sich die Akteure des Managements öffnen und Haltung einnehmen.

Für Hans Küng war Global Business Ethic ja ein wichtiges Thema. Was ist das?

Villhauer: Er hat mit seinem Manifest zum globalen Wirtschaftsethos von 2009 die Herausforderungen konkretisiert. In diesem wird Moral nicht einfach von aussen eingefordert, sondern Hans Küng appelliert daran, dass die Firmen von innen die Voraussetzungen schaffen, moralisch zu agieren. Sprich: Die Firmen sollen eine ethische Sprach- und Handlungsfähigkeit entwickeln, die auf dem moralischen Fundament beruht, das Zivilisationen seit langer Zeit schon prägt und in den Weltreligionen und großen Glaubenssystemen Form gefunden hat. Man könnte sagen: auf einer natürlichen Moral.

Natürliche Moral?! Gibt es denn so etwas?!

Villhauer: Küng meint damit keine ideologische Erziehungsbotschaft, sondern dass sich die Mitarbeitenden einer Firma beispielsweise darauf besinnen, was sie grundsätzlich tun können, um das Miteinander in einem Unternehmen zu organisieren und zu gestalten. Er geht in seinem Weltethos-Manifest davon aus, dass es in den verschiedenen Weltreligionen gemeinsame und verbindende Prinzipien gibt wie etwa Wahrhaftigkeit, Friedfertigkeit und die sogenannte Goldene Regel.

Goldene Regel – was impliziert diese denn?

Villhauer: Diese Goldene Regel finden wir in allen Religionen, aber eben auch in der biblischen Botschaft (Tobias / Tobit 4,16): ‘Was du nicht willst, das man dir tue, das tue einem anderen auch nicht!»

Sind solche hehren Absichten nicht ein Kampf gegen Windmühlen?

Villhauer: Wenn man das ethische Bewusstsein der Banken mit der Wirklichkeit abgleicht, dann kann es einem so vorkommen. Aber es gibt auch sehr verantwortungsvolle, finanzwirtschaftliche Unternehmen, zum Beispiel im Bereich «Sustainable Finance». Will heissen: Solche Firmen und Banken achten auf eine umweltgerechte Wirtschaft und klimagerechte Finanzen, die für ökologische Ziele eingesetzt werden. Es gibt in diesem Sinne schon auch Banken, die sich im Sinne eines sozialen und ökologischen Wirtschaftens engagieren und sehr erfolgreich sind.

Hans Küng hat nach der Finanzkrise 2008/09 einen Ethik-Kodex für Banker gefordert. Was genau hat er damals gefordert?

Villhauer: Ja, er hat sich für die Finanzbranche schon immer sehr interessiert und bemerkt, dass das Vertrauen schwindet. Für ihn sind deshalb Vertrauen und Transparenz das Entscheidende. Es muss in Banken Vertrauen geschaffen werden, um verantwortlich handeln zu können. Auch hat er immer wieder die exzessiven Boni und überhöhten Gehälter kritisiert.

Was ist aus der Idee geworden – angesichts einer kapitalistischen Welt, in der der Hauptpunkt auf der Gewinnmaximierung basiert?

Villhauer: Küngs Ideen haben viel Widerhall gefunden und das Manifest zum globalen Wirtschaftsethos ist bis heute eine Richtlinie. Und wie bereits gesagt, es gibt ja nicht nur Unternehmen, die auf Gewinnmaximierung fixiert sind, sondern eben auch solche, die auf soziale Wirkungen und auf Nachhaltigkeitsstrategien setzen.

Und das zahlt sich dann tatsächlich aus?

Villhauer: Oft ist es so – aber nicht immer! Das muss am Ende die Wirklichkeit auf den Märkten entscheiden.

Was genau macht Ihr Institut heute in Sachen Wirtschaftsethik?

Villhauer: Wir fördern etwa sogenannte «Ambassador-Programme» für Führungskräfte im Sinne einer verantwortlichen Wirtschaft. Ausserdem sind wir in den Bereichen Forschung und Lehre aktiv auf Feldern wie Künstliche Intelligenz, ethische Kommunikation und eben vor allem zu den Fragen des Finanzmarktes.

Welche sind aus Ihrer Sicht die Learnings, die wir aus dieser Krise ziehen können?

Villhauer: Zum einen, dass keine Bank so gross ist, dass sie nicht scheitern könnte. Zweitens, dass es tatsächlich toxische Führungs- und Unternehmenskulturen in der Bankenwelt gibt, die nur schwer zu verändern sind. Nicht zuletzt muss auch der Gesetzgeber gezielt eingreifen können, um solche Krisen künftig verhindern zu können. Schliesslich hat Hans Küng neben einer entsprechenden moralischen Haltung immer auch eine kluge und massvolle Regulatorik gefordert.

Wäre es für die Bankenwelt nicht am allerlehrreichsten, einfach mal zwischendurch eine dieser «Hybris-Banken» crashen zu lassen?

Villhauer: Das hat man ja 2008 bei der Lehmann-Bank in den USA gemacht. Allerdings sind solche Lerneffekte immer stark begrenzt, wie man gesehen hat. Weil es eben immer darauf ankommt, inwieweit die anderen davon konkret betroffen sind. Die Zehntausenden von Entlassenen dürfen wir dabei auch nicht vergessen! Denn meist müssen bei solchen «Bereinigungen» die Kleinen bluten…

*Bernd Villhauer (57) ist seit 2015 Geschäftsführer des Weltethos-Instituts an der Universität in Tübingen. seit Januar 2015 Geschäftsführer des Weltethos-Instituts. Nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann studierte er Philosophie, Altertumswissenschaft und Kunstgeschichte an den Universitäten Freiburg, Jena und Hull. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Nachhaltigen Finanzen, Geldtheorie und Finanzethik. (kath.ch)