Lange Nacht der Kirchen: «Events sind Kristallisationspunkte, die in uns Resonanz erzeugen»

Eine Tanzperformance mit dem Titel «Zwischen Himmel und Erde» im Gotteshaus gefällig? Oder lieber eine Ausstellung des international renommierten Nagelkünstlers Günther Uecker? Wie wäre es mit einer Oase der Ruhe in der Kirche? Oder doch lieber das Lauschen des Kirchengeläuts? Oder womöglich das Besteigen eines Kirchturms mit anschliessend spektakulärem Abseilen im Beisein eines Alpinisten?

Riesenauswahl

Wer sich auf der Website «langenachtderkirchen» durchklickt, ist sehr schnell beeindruckt ob des mannigfaltigen Angebots an Veranstaltungen, die in Schweizer reformierten und katholischen Gemeinden am Freitagabend auf dem Programm stehen. Man wähnt sich fast auf der Biennale in Venedig oder auf der documenta in Kassel – so viel kulturelle Kurzweil scheint garantiert.

Wobei für jeden etwas dabei ist: Unter der Kategorie «Erlebnisse» sind nicht nur Events wie Lichtspektakel, Tanz, Theater, Musik, Kino, Andachten, Stille und und und rubriziert. Das Angebot «Kirche anders erleben» soll auch verschiedene Zielgruppen wie Kinder, Jugendliche und Familien ansprechen.

1840 Veranstaltungen in 18 Kantonen

Dieses Mal findet der ökumenische Event, der alle zwei Jahre über die Bühne geht, und 2016 von der Römisch-Katholische Landeskirche Aargau in Anlehnung an das österreichische Original erstmals in der Schweiz ins Leben gerufen wurde, sogar in 18 Kantonen mit sage und schreibe 1840 Veranstaltungen statt. Rund 50’000 Besucherinnen und Besucher lockte das Angebot 2023 an. Dieses Mal könnten es noch mehr werden. Phänomenal.

Trotzdem fragt man sich angesichts dieses Megaevents – warum eigentlich wird dieser Riesenaufwand betrieben, um Menschen in die Kirchen zu locken? Klar, Missbrauchsskandal und gesellschaftliche Säkularisierung haben die Zahl der Kirchgängerinnen und Kirchgänger ausgedünnt. Das bezeugen in vielen Pfarreien die leeren Kirchenbänke jeden Sonntag. Die Kirchen wünschen sich deshalb verständlicherweise wieder mehr Zulauf.

«Niederschwelliges Angebot»

Können solche Publikumsattraktionen wie die Lange Nacht der Kirchen aber auch dazu beitragen, einen nachhaltigen Effekt zu generieren – oder wird da eben einfach ein buntes Feuerwerk in den Kirchen an einem Abend abgebrannt, und das alle zwei Jahre?

«Dieses niederschwellige Angebot der Langen Nacht der Kirchen soll Menschen Türen und Tore öffnen, die schon länger nicht mehr der Kirche nahestehen», erklärt Jeannette Häsler Daffré, Kommunikationsbeauftragte der Römisch-Katholischen Landeskirche Aargau, gegenüber kath.ch.

«Menschen sollen in den Kirchen einen speziellen Abend erleben und verbringen – und ihre bisherigen Erwartungen, Vorurteile und Barrieren, die sie vielleicht gegenüber der Kirche aufgebaut haben, überdenken. «Wir wünschen uns natürlich, dass Menschen, denen es in der Langen Nacht in den Kirchen gefallen hat, auch längerfristig den Kontakt zur Kirche aufrecht erhalten», sagt Häsler. Doch Zahlen über die Nachhaltigkeit der Veranstaltungen der Langen Nacht gebe es nicht.

Aktionismus und Augenwischerei?

Dabei scheint es auch klar, dass die Kirchen eine derartige Vielfalt an Angeboten wie in der Langen Nacht im kirchlichen Alltag gar nicht dauerhaft stemmen können. Schon rein personell nicht. Alles nur Aktionismus und Augenwischerei in kirchenfernen Zeiten, also?

«Nein, Ziel ist es, dass bei den Besucherinnen und Besuchern einerseits bleibende Aha-Effekte in der Langen Nacht entstehen und dass es die Kirchen andererseits schaffen, gewisse Dinge in den Alltag hinüber zu retten, um das Erlebnis einer positiven Gemeinschaft in der Kirche für Einzelne immer wieder spürbar werden zu lassen», skizziert Jeannette Häsler.

Angestrebt sei, Menschen einen Einblick in das gesellschaftliche Engagement der Kirchen zu gewähren. «Grundsätzlich sind die vielen Veranstaltungen während der Langen Nacht meistens auch nicht thematisch losgelöst vom Alltag der Kirchen», ist Häsler überzeugt. Zum einen durch die Mitarbeit vieler Ehrenamtlicher vor Ort. «Zum anderen gibt es ja beispielsweise Theatervorstellungen zum Thema Hunger.»

So weit, so schlüssig. Doch wie wichtig stuft ein Seelsorger diesen Megaevent der Langen Nacht der Kirchen für die Attraktivität der katholischen Kirche ein? Wird die Kirche dabei nicht einfach als Bühne und Museum benutzt – anstatt sich primär auf ihren spirituellen und religiösen Raum zu fokussieren?

«Gute Erfahrungen mit der Langen Nacht»

Christian Kelter ist Diakon in der katholischen Pfarrei Heiliggeist in Hünenberg im Kanton Zug und auch bekannt als Buchautor für eine lebendigere, optimistischere Kirche.

«Wir haben in den letzten Jahren in Hünenberg immer gute Erfahrungen mit der Langen Nacht gemacht. Gemeinschaftsbildung ist uns ein wichtiges Anliegen», ist Kelter überzeugt. Dafür sei das Format der Langen Nacht wunderbar geeignet. «Hier konnten wir Menschen zusammenbringen. Menschen, die sich in dieser Konstellation sonst nicht getroffen hätten. Bei uns konnten sie gute Erfahrungen machen.»

Kirche nicht auf Sonntagsgottesdienst reduzieren

Für Kelter ist das Entscheidende, dass Kirche zuerst als Gemeinschaft der Gläubigen wahrzunehmen und nicht auf den Sonntagsgottesdienst zu reduzieren sei. Zudem könne und solle man nicht das Alltägliche gegen das Einmalige ausspielen.  

 »Kirche ist zuerst einmal weniger das Gebäude als vielmehr die Gemeinschaft der Menschen, die an Gott glauben. Wenn wir in unsere zweitausendjährige Geschichte schauen, hat sich diese Gemeinschaft schon immer durch einen Mix aus Kultur, Bildung und natürlich auch Spiritualität konstituiert und ins gesellschaftliche Leben eingebracht. Christin- oder Christsein ist so gesehen eine Einstellung, die das ganze Leben umfasst», fasst Kelter zusammen.

«Heute haben wir Kirche-Sein leider auf den Sonntagskirchgang reduziert. Aus diesem Trugschluss heraus erleben wir aktuell vieles defizitär. Die Lange Nacht der Kirchen kann hier unser aller Perspektive nochmal weiten. Kirche spielt an sieben Tagen in der Woche und längst nicht nur sonntags in der Liturgie.»

Papstwahl als Katalysator

Aus der Sicht des Hünenberger Diakons ist Kirche darüber hinaus schon immer besonders gut darin gewesen, sich und ihr Tun zu inszenieren. «Das ist auf gute Art Teil unserer DNA. Wir haben das gerade anlässlich des Todes von Papst Franziskus und der Wahl von Papst Leo wieder eindrücklich erlebt. Da waren alle dabei. Das liess auch die nicht kalt, die sonst mit Glauben und Kirche nichts zu tun haben.» Menschen brauchen laut Kelter immer wieder solche Events.

«Da verdichtet sich plötzlich etwas. Verstand und Herz werden gleichermassen angesprochen. Das tut uns gut. Events sind Kristallisationspunkte, die in uns Resonanz erzeugen. Und Resonanz lässt uns Momente als wesentlich erleben.»

Kirchliche Kernkompetenzen werden nicht vernachlässigt

Gleichzeitig sieht Christian Kelter die Kernkompetenzen der Kirche durch solche Events wie «Die Lange der Kirchen» nicht vernachlässigt.

«Wir spenden Sakramente wie Taufe, Kommunion, Firmung und Hochzeit. Wir beerdigen, trösten, spenden Hoffnung, bitten um Vergebung. Das gehört zu unseren Kernkompetenzen. Sie werden in der Öffentlichkeit richtigerweise aber wenig rezipiert, weil sie eben sehr persönlich und individuell sind. Grossereignisse stechen da dann auf gute Art heraus.» (kath.ch)