Schwerpunkt

Die Auferstehung im Licht der Evangelien

von Stephan Kaisser

Alle vier Evangelien erzählen uns vom Wunder des Ostergeschehens, jedes mit seinen eigenen ­Akzenten und Perspektiven. Wenn wir die Berichte lesen, erleben wir mit, wie die ersten Zeuginnen und Zeugen vom Schauen und Hören zum Glauben kommen. Der Glaube an die Auferstehung ­entsteht nicht allein durch das, was gesehen oder gehört wird, sondern erst durch die Begegnung mit dem auferweckten Christus selbst. 

Die älteste neutestamentliche Osterbotschaft wird uns im 1. Korintherbrief von Paulus überliefert: «Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäss der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäss der Schrift.» Diese Botschaft, entstanden in einer griechisch-sprachigen judenchristlichen Gemeinde, zeigt das Fundament des christlichen Glaubens an die Auferstehung Jesu. Die späteren Ostererzählungen in den Evangelien geben diesem Bekenntnissatz eine erzählerische Gestalt.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Alle vier Evangelien nennen den ersten Tag der Woche, also den Sonntag, als Auferweckungstag. Sie betonen die Rolle der Frauen als erste Zeuginnen am leeren Grab, denen Engel die Botschaft von Jesu Auferweckung verkünden. Mit dieser Botschaft werden sie zu den Jüngern gesandt. Danach erscheint Jesus verschiedenen Personen, was diese erst zum Glauben an Jesu Auferstehung führt. Doch es gibt auch Unterschiede: die Anzahl der Frauen, die genauen Worte der Engel und wem und wo Jesus nach seiner Auferstehung erschienen ist. Matthäus und Johannes setzen je einen besonderen Akzent. Darum einen ausführlicheren Blick auf diese beiden Ostererzählungen.

Matthäusevangelium
Matthäus geht davon aus, dass Maria von Magdala und eine andere Maria schon am Anbruch des ersten Tages der Woche, also schon am Abend – im Orient beginnt der neue Tag bei Sonnenuntergang – kommen, um nach dem Grab zu sehen. Das griechische theoresai kann neben «sehen» auch «nachdenken» bedeuten. Die Frauen wollen also eine Art Totenwache halten, um sich trotz Tod besonders mit Jesus zu verbinden. Nun ereignen sich kosmische Zeichen: «Es geschah ein gewaltiges Erdbeben; denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat an das Grab, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.» (Matthäus 28,2). Die Öffnung des Grabes geschieht durch göttliches Eingreifen. Der Tod und die Auferweckung bekommen mit dem Erdbeben, dem Engel des Herrn, der vom Himmel herabkommt, und zuvor dem Herauskommen der Leiber der Heiligen: «Die Erde bebte und die Felsen spalteten sich. Die Gräber öffneten sich und die Leiber vieler Heiligen, die entschlafen ­waren, wurden auferweckt» (Matthäus 27,51f) eine apokalyptisch-kosmische Dimension: die endzeitliche Auferstehung der Toten und der Beginn einer neuen Welt, wie es der alttestamentlichen Vorstellung entspricht. In der jüdischen Tradition werden Erdbeben oft als Zeichen göttlicher Macht und Eingreifens betrachtet. Die Auferweckung Jesu stellt einen Wendepunkt in der Geschichte dar und das Erdbeben symbolisiert diese dramatische Veränderung durch das Eingreifen Gottes. Sie ist nicht nur ein individuelles Ereignis, sondern hat Auswirkungen auf die gesamte Schöpfung. 

Die Frauen und auch die römische Wache am Grab erleben die Ereignisse um die Auferstehung mit und reagieren, wie in der Bibel bei Machttaten Gottes üblich, mit Furcht und Schrecken. Das Erdbeben kann wie gesagt als Symbol für Gottes bewegendes Handeln in der Auferstehung und auch für die Erschütterung der Angesprochenen verstanden werden. Dann verkündet ihnen der Engel: «Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden», und schickt sie, dies den Jüngern zu verkünden. Voller Freude und zugleich Furcht machen sie sich auf den Weg zu den Jüngern, dabei kommt ihnen Jesus entgegen. Sie fallen vor ihm nieder, diese Verehrung verweist auf Jesu in seiner neuen himmlischen Seinsweise. Jesus wiederholt den Sendungsauftrag, er schickt sie zu den Brüdern – nicht Jüngern, wie der Engel sagte. Dies zeigt, dass er Petrus und den anderen Jüngern, die im Gegensatz zu den Frauen aus Angst flohen, verziehen hat.

Der Streit um das leere Grab
Matthäus zeigt uns also die universale Bedeutung der Auferweckung Jesu. Es geht nicht um die Wiederbelebung eines toten Leichnams, der dann später wieder sterben wird, sondern um eine ganz neue gottgewirkte Seinsweise in der Gegenwart Gottes, die auch jede/r Gläubige erhoffen darf. Der »Auferstehungsleib« Jesu und auch unserer zukünftiger ist nicht mehr an das Schicksal einer sterblichen und verwesenden Materie gebunden, sondern ist die Aufnahme der einmaligen Person in die Wirklichkeit Gottes. So ist der Streit, ob das Grab Jesu leer war, irrelevant, weil das neue österliche Leben Jesu nicht einfach ein erneuertes Leben im alten Lebenszusammenhang ist, sondern die alten Lebenszusammenhänge aufbricht und für Neues eröffnet. 

Johannesevangelium
Hier wird die persönliche Begegnung von Maria von Magdala mit dem auferstandenen Jesus ausführlich beschrieben: «Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war.» (Johannes 20,1)

Dieser Vers erinnert an das Hohe Lied der Liebe, wo die Braut frühmorgens aufsteht, um nach ihrem Geliebten zu suchen: «Aufstehen will ich, die Stadt durchstreifen, die Gassen und Plätze, ihn suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht.» (Hohelied 3,2). Die Liebe zieht Maria zum Grab Jesu, aber sie begreift noch nicht, was geschehen ist. Dann wird die Erzählung des Wettlaufs von Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, zum Grab eingefügt, bevor Johannes die persönliche Begegnungen Marias mit dem auferstandenen Jesus beschreibt.

Liebe lässt frei
Maria ist voller Trauer, sie weint und beugt sich in das Grab hinein. Sie sieht zwei Engel und auf deren Frage hin, spricht sie aus, was sie bedrückt: «Man hat meinen Herrn weggenommen und ich weiss nicht, wohin man ihn gelegt hat.» (Johannes 20,13). Dann wendet sie sich um und sieht Jesus, erkennt ihn aber nicht. Erst im folgenden Gespräch, als Jesus sie ganz vertraut mit Namen anredet, wendet sie sich noch einmal um und erkennt, dass ihr «Rabbuni» lebt. Das Ansprechen mit Namen hat innerhalb des Johannesevangeliums eine besondere Bedeutung, denn Jesus ist der gute Hirte, der die seinen mit Namen kennt und ruft (Johannes 10,3).  Das leere Grab wahrnehmen und die Trauer zulassen führt zum ersten Umwenden auf dem Glaubensweg der Maria, und als sie sich von Jesus erkannt weiss, an dem sie wohl mit Tränen in den Augen vorbeiging, kommt durch dieses Sich-erkannt-und-angesprochen-Wissen ein zweites Sich-Umwenden aus der Erkenntnis, dass Jesus der Auferstandene ist. Maria wird durch diesen Moment des Erkanntseins und Erkennens auch zu einer «Auferweckten».

Verständlich will sie ihn festhalten, wie die Braut im Hohen Lied: «Kaum war ich an ihnen vorüber, fand ich ihn, den meine Seele liebt. Ich packte ihn, liess ihn nicht mehr los, bis ich ihn ins Haus meiner Mutter brachte.» Aber Jesus verwehrt ihr das: «Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen.» Der Auferstandene lässt sich nicht in den Griff bekommen, er ist unbegreiflich, unverfügbar. Auch von der Liebe zwischen Menschen gilt das; ich kann den/die andere nicht festhalten, festschreiben. Ich darf mir kein fixes Bildnis machen, etwas Himmlisches im anderen ist unverfügbar. Liebe lässt frei. 

Am Schluss dieses Prozesses kehrte Maria getröstet und hoffnungsfroh zurück nach Jerusalem und verkündete den Jüngern die Osterbotschaft. So wurde sie zur Apostelin der Apostel.
Durch die Begegnung mit Christus erfährt Maria eine neue Lebensperspektive, die auch uns ermutigt, an die Auferstehung zu glauben und Hoffnung zu schöpfen. Trotz aller Enttäuschungen dürfen wir in der Gewissheit der Auferstehung leben. So wird sie uns zur Apostolin/Botin des neuen, österlichen Lebens. So möchte ich mit einem Zitat aus dem 1. Petrusbrief schliessen, das diese Hoffnungskraft beschreibt: «Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns in seinem grossen Erbarmen neu gezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unzerstörbaren, makellosen und unvergänglichen Erbe, das im Himmel für uns aufbewahrt ist.»