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Heilige Maria, Mutter Gottes...oder doch nicht?

von Annalena Müller, kath.ch

Das Dogma der Gottesmutterschaft gehört zu den ältesten im katholischen Glauben. Allerdings: Es ist nicht biblisch. Es wurde auf dem Konzil von Ephesos (431) beschlossen. Und es bildet die Grundlage für Marias Aufstieg vom «Sidekick» zu einer Quasi-Gottheit.

1970 sang der deutsche Musiker Rio Reiser: «Macht kaputt, was euch kaputtmacht». Das Lied wurde zur Hymne des Aufbegehrens. Gegen überkommene Werte und Ideen. Sie sollten weg. Wenn nötig, mit Gewalt. 500 Jahre vor Reiser mögen Johannes Calvin, Huldrych Zwingli und Co. Ähnliches empfunden haben. Nach Ansicht der Reformatoren hatten extrabiblische Dogmen eine Religion erschaffen, die sich von Jesus entfernt hatte. Die Reformation wollte sie zur reinen Lehre zurückführen.

DIE BIBLISCHE MARIA
Eines der frühen Opfer der Reformation: Maria. Oder vielmehr Marias Position als Quasi-Gottheit. Als Gottesgebärerin war Marias Bedeutung für die Gläubigen seit der Spätantike stetig angewachsen. Das Problem der Reformatoren: Es steht so nicht in der Bibel. Tatsächlich spielt Maria im Neuen Testament eine Nebenrolle. Paulus erwähnt sie einmal. Allein im Lukas-Evangelium ist ihre Rolle zentral. Aber: Lukas gilt unter modernen Theologen als der historisch am wenigsten glaubwürdige Evangelist. Selbst der «Maria-Fan» Lukas äussert sich im griechischen Original nicht zur göttlichen Natur Jesu. Und folglich auch nicht zur Rolle Marias als Gottesgebärerin. Jesu Gottwerdung und Marias Status der Gottesgebärerin sind theologische Entwicklungen, die erst Jahrhunderte später formuliert wurden. Der Glaubenssatz, dass Maria nicht «nur» die Mutter Jesu, sondern «Gottesgebärerin» ist, geht auf das Konzil von Ephesos (431) zurück. Es war das dritte von vier Konzilien, welche zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert Lehrsätze zur Christologie definierten. 

ALS JESUS GOTT WURDE
Im Zentrum der Konzilien stand die Natur Christi (Christologie). War Jesus Gottes leiblicher oder spiritueller Sohn Gottes? War er Mensch oder Gott oder beides zugleich? Und wenn ja, zu welchen Anteilen? Dies waren heftig umkämpfte Fragen, die sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führten. Geklärt wurden die Fragen – wie in der Alten Kirche üblich – nicht vom Papst. Den gab es so noch nicht. Sondern von Konzilien. Das Konzil von Nicäa (325) formulierte den Glaubenssatz, dass Jesus der menschgewordene Sohn Gottes war. Konstantinopel (381) klärte, dass der Heilige Geist genauso Gott ist wie der Vater und der Sohn (Trinität). In Ephesos schliesslich widmeten sich die Konzilianten 431 der Anschlussfrage: Welche Gewichtung kam den Teilen zu, welche die Natur Christi ausmachen? Die Antwort: Jesus ist zu gleichen Teilen Gott und Mensch.

HEILIGE MARIA, MUTTER GOTTES
Maria spielt bei der Formulierung dieser Glaubenssätze nur eine Nebenrolle. Sowohl im frühen Christentum als auch in der reformierten Kirche zieht Maria ihre Position allein aus ihrer Beziehung zu Christus. ­Ohne Jesus ist sie bedeutungslos. Für die Menschwerdung Jesu aber ist sie zentral. Das sieht auch das Konzil von Ephesos so. Dort erhält Maria den Titel der Gottesgebärerin «Theotókos». Die Mutter Gottes war geboren. Trotz ihrer Rolle für die Menschwerdung Jesu bleibt Maria auch nach ­Ephesos ein «Sidekick». Ihre Rolle ist instrumental, nicht zentral. Sie ist eine Nebendarstellerin. Wie bei den berühmten literarischen «Sidekicks» hängt Marias Bedeutung gänzlich an der des Hauptdarstellers. Ohne Don Quichote, kein Sancho Pansa. Ohne Sherlock Holmes, kein Doktor Watson. Ohne Jesus, keine Maria.

VON DER NEBEN- ZUR HAUPTFIGUR
Im Laufe des Mittelalters entwickelt sich Maria von einer Neben- zu einer Hauptfigur. Es entsteht eine eigene Marienfrömmigkeit. Grundlage dieser Frömmigkeit bildet die Vorstellung, dass Maria als Mittlerin zwischen den Menschen und Gott aktiv ist. Ausdruck findet dieser Glauben in Marienwallfahrten. Und Gebeten, die sich nicht an Gott, sondern direkt an seine Mutter richten. Das Bekannteste dieser Gebete ist das «Ave Maria». Das Mariengebet geht auf das 11. Jahrhundert zurück und wird in seiner aktuellen Form seit dem 16. Jahrhundert gebetet.

REFORMATION RÄUMT MIT MARIA AUF
Als die Reformatoren um Johannes Calvin und Huldrych Zwingli im 16. Jahrhundert zum Rundumschlag ausholen, verschwinden die Marienstatuen – zusammen mit allen anderen – aus den Gotteshäusern. Die Bilderstürme machen kaputt, was, laut Reformatoren, den wahren Glauben kaputt- gemacht hat. Aber: Dazu gehört nicht Maria per se. Nur ihre Hauptrolle. Die reformierten Kirchen glauben nicht an Maria als Mittlerin. Sie kennen keine Gebete zu ihr. Aber sie kennen Maria als Gottesgebärerin. Sie kennen Maria als «Sidekick».  

DIE MARIENDOGMEN 

Die katholische Kirche kennt neben der Gottesmutterschaft drei weitere Mariendogmen. Das folgenreichste Mariendogma ist das der Jungfrauengeburt: Angeblich war Maria vor, während und nach der Geburt von Jesus eine Jungfrau «semper virgine». Das Dogma besagt, dass kein biologischer Mann der Vater von Jesus war, sondern der Heilige Geist. In den Anfangsjahren des christlichen Glaubens ging es dabei primär um den Gedanken der Geistzeugung. Weihnachten, die Geburt Christi, besagt letztendlich, dass für Gott nichts unmöglich ist. Erst später wurde die Geistzeugung zur Jungfrauengeburt erhoben. 

UNBEFLECKTE ­EMPFÄNGNIS 
Die «unbefleckte Empfängnis» wurde 1854 von Papst Pius IX. verkündet. Es besagt, dass Maria selbst schon rein und unbefleckt als «Immaculata» empfangen wurde. Damit ist sie von der Erbsünde befreit, weil sie die Mutter Gottes werden sollte. Das Dogma der unbefleckten Empfängnis erhielt durch die Marienerscheinung von Lourdes und andere ähnliche Ereignisse weiteren Aufwind. (Feiertag: 8. Dezember)

LEIBLICHE AUFNAHME  
Das vierte Mariendogma ist das der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel, das mit dem Fest «Maria Himmelfahrt» gefeiert wird. 1950 verkündete Papst Pius XII., dass Maria, die Zeit ihres Lebens ohne Sünde gelebt hat, folglich direkt nach ihrem Tod mit ihrem Körper in den Himmel aufgenommen wurde. (Feiertag: 15. August) 

Diese Mariendogmen hatten auf die Stellung der Frau innerhalb der Kirche einen grundlegenden Einfluss. So wurde zum Beispiel, ausgehend von der «Jungfrauengeburt» und dem Dogma der «unbefleckten Empfängnis», Maria mit den Attributen Keuschheit, Demut und Frömmigkeit umschrieben. (sta)