Editorial

TU, SOVIEL DIR MÖGLICH IST!

Die katholische Kirche sieht sich in ihrem vielgestaltigen Wirken einer dauerhaften Spagatstellung ausgesetzt: Altherkömmliches Brauchtum und jahrhunderte­alte Rituale sollen den modernen Menschen in der heutigen Zeit zugänglich und einsichtig gemacht werden. Eine fortlaufende Aktualisierung einer 2000-jährigen Tradition, was nicht selten einer Überforderung gleichkommt. Selbstverständlich kann nicht einfach die ganze Überlieferung in unveränderter Art und Weise in die Gegenwart übernommen werden, sonst droht ein zunehmendes Nichtverstehen, ein Verlust an Verständnis, der schlussendlich zur Abwendung führt; es darf jedoch andererseits auch nicht zu einer Verwässerung kommen, welche den ursprünglichen Kern der Bemühungen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und Sinn-entleert. Zweifellos eine höchst delikate Ausgangslage, wenn nicht sogar ein Dilemma. 

Die beiden Pole «Tradition und Erneuerung» sind in der katholischen Kirche ein Dauerthema. Hier kann das Fronleichnam-Fest als katholische Eigenart symbolisch für die Situation in der Kirche stehen: Altes Brauchtum trifft auf moderne Menschen. Doch der Blick geht dabei zum Glück vielerorts nicht nur zurück, sondern auch nach vorne. Es bleibt nicht nur beim «so wie früher», denn an Fronleichnam verlassen die Christen ihre Gotteshäuser und begegnen den Menschen auf Plätzen und in Prozessionen. Es ist wichtig, dass Fronleichnam nicht zu einem triumphalistischen Zelebrieren vergangener Grösse verkommt, sondern ein überzeugtes und überzeugendes Auftreten ist. «Quantum potes tantum aude, quia maior omni laude, nec laudare sufficis», resümiert der grosse Mittelalterphilosoph und -theologe Thomas von Aquin in seiner Fronleichnamssequenz aus dem 13. Jahrhundert, was der deutsche Priester und Komponist Peter Gerloff mit: «Kannst du auch mit tausend Liedern seine Liebe nicht erwidern, tu, soviel dir möglich ist», übersetzt. Jesus Christus als das wahre Brot des Lebens kann allen Menschen Nahrung sein. Mit dieser Botschaft lohnt es sich, auf die Strasse zu gehen. 

Mit freundlichen Grüssen                                                 

Reto Stampfli