Katholikin «vom Fussvolk»: Warum Esther Wolf ohne Frauengruppen für den Frauendiakonat kämpft

Spaziergang mit Esther Wolf (80) auf einem Kiesweg entlang der Bahngleise in Sarnen. Es klingelt. «Kann ich durch?», fragt eine Frauenstimme freundlich. Äbtissin Rut-Maria Buschor von Sarnen überholt, breit lächelnd, mit ihrem Velo. Sie trägt den klösterlichen Habit. Das schwarze Tuch flattert im Fahrtwind.

Sarnerin mit Herzblut

Die 80-jährige Esther Wolf geht rüstig weiter. Die Frau mit hellen, kurzgeschnittenen Haaren bleibt da und dort stehen, zeigt auf das eine oder andere Haus und erzählt, wer hier wohnte und was für ein Geschäft betrieben wurde. Die Katholikin lebt heute in Uetikon am Zürichsee, ist aber in Sarnen aufgewachsen – und wäre am liebsten dortgeblieben. «Sarnen hat mich im Leben am meisten geprägt», sagt sie. Vom Kindergarten an wurde sie von Ordensleuten geschult – bis eineinhalb Jahre vor der Matura.

Zwischenhalt vor dem Benediktinischen Zentrum Sarnen – dem Frauenkloster, das die velofahrende Äbtissin leitet. Esther Wolf zeigt auf ein kleines Haus, angebaut an die Klostermauer. Hier besuchte sie die erste Primarschule.

Benediktinerinnen als Lehrerinnen

Vis-à-vis das stattliche Schulhausgebäude. Auch da unterrichteten Benediktinerinnen. «Sie kamen morgens gemeinsam über die Strasse, im Habit», erzählt Esther Wolf und zeigt mit dem Arm, wo die Frauen mit schwarzem Habit den Fussgängerstreifen überquerten.

Eine dieser Ordensfrauen war ihr besonders zugetan. Sie sandte später ein Empfehlungsschreiben an ein katholisches US-College. So verbrachte Esther Wolf nach der Matura ein Jahr in den USA. Und ein Benediktiner, «ein lieber Mensch», gab ihr Nachhilfeunterricht. So hatte sie den Sprung von der Handelsschule am Kapuzinerinnenkloster St. Klara in Stans auf die Kantonsschule in Luzern geschafft.

Auch ihr späterer Mann, der aus einer gebildeten Familie kam, unterstützte sie. So kam es, dass das Mädchen aus bildungsferner Obwaldner Familie schliesslich in Zürich Psychologie studierte.

«Kein Trauma» von der Kirche

Die Kirche hat Esther Wolf im guten Sinne erfahren. Sie habe «kein Trauma» wie andere Leute ihrer Generation. Sie engagierte sich in der Pfadi – bis zur Wolfsführerin bei den jungen Pfadiknaben. Aufgewachsen mit einer gläubigen Mutter und einem nichtgläubigen Vater lebte sie «religiös ziemlich frei», wie sie sagt.

Und doch wurde sie zur fleissigen Kirchgängerin – bis heute. Und engagiert sich gleichzeitig stark für den Frauendiakonat. «Ich kämpfe für die katholische Kirche, weil ich sie liebe.» Dabei wähnt sie sich allerdings allein auf weiter Flur. «Einzelkämpferin bin ich aus Not», sagt sie beim Mittagessen in einem Restaurant mit Blick auf den örtlichen Bach, die Sarneraa. Sie hat noch keine Mitstreitende gefunden.

Frauenbund will nicht mitziehen

Andere Gottesdienstbesuchende verstünden ihre Forderung nach dem Frauendiakonat nicht. «Viele wissen gar nicht, was das ist», meint Esther Wolf. Bei der Frauengruppe ihrer Pfarrei in Uetikon ZH hat sie damit Ablehnung erfahren. Auch beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund fand sie nicht die erhoffte Gegenliebe – zu ihrer Enttäuschung. Dabei findet die Kirchgängerin mit strengem Blick: «Es braucht den unablässigen Druck der Frauen.»

Briefe an Bischöfe, Kardinäle, den Papst

Den versucht Esther Wolf aufrechtzuerhalten. Sie schreibt Brief um Brief. An Bischöfe, Kardinäle und an den Papst. Immer mit demselben Anliegen: Es brauche den Frauendiakonat! Ein paar Beispiele hat sie mitgebracht. Vor einem entsprechenden Foto will sie die Lippen schminken.

Dann öffnet sie den Ordner: Hier ist eine Kopie des ersten Briefs, den sie 2008 an Vitus Huonder geschickt hat. Dass sie den Bischof von Chur zuerst kontaktierte, war für sie klar. Obwohl sie von vorherein wusste, dass sie nicht auf offene Ohren stossen würde. «Ich habe immer darauf geachtet, die Form einzuhalten», sagt Esther Wolf. Die Sarnerin, die später lange in Zürich lebte und seit zwei Jahren in Uetikon ZH, war immer im Bistum Chur wohnhaft.

Bischof Huonder antwortete mit dem «Heiligen Geist»

Den Brief übergab sie Huonder persönlich, als dieser auf dem Zollikerberg eine Messe leitete. «Ich spreche die Exponenten immer an, wenn sie sowieso für die Öffentlichkeit da sind. Ich will ja nicht stören», sagt sie dazu. Huonder nahm den Brief, öffnete ihn aber nicht. Später schrieb er ihr zurück, das werde der Heilige Geist richten.

Kirche «geht schwanger, ich mit»

Die Katholikin ist überzeugt: Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür. «Ich fühle, die katholische Kirche geht schwanger, hin zur Weltbischofssynode im Oktober dieses Jahres; ich mit», hat die 80-Jährige vor dem Treffen per Mail geschrieben.

Schreiben von Felix Gmür vom 28. Oktober 2008

«Der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Dr. Kurt Koch, hat Ihren Brief vom 29. September 2008 und die Korrespondenz mit dem Bischof von Chur erhalten. In seinem Namen und Auftrag danke ich Ihnen dafür.Die Frage nach dem Diakonat der Frau steht schon lange auf der Tagesordnung verschiedener Bischofskonferenzen. In den letzten Jahren ist es aber ruhiger geworden, weil sich momentan die theologische Forschung verstärkt dieses Themas annimmt.Bischof Kurt Koch, damals noch Vizepräsident der Bischofskonferenz, stellte bereits im Jahre 1998 fest, dass eine allfällige Einführung des Frauendiakonats eng mit dem Problem verbunden ist, dass auf weltkirchlicher Ebene kein klares Profil des Ständigen Diakonats existiert. Deshalb ist beispielsweise der Ständige Diakon in Deutschland mit dem Ständigen Diakon in der Deutschschweiz kaum vergleichbar. Die Profile sind sehr verschieden. Zunächst müssen also Definition und Aufgabe des Ständigen Diakons geklärt werden.Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass die Diskussion um den Ständigen Diakonat der Frau rasch zu einem Abschluss bzw. zu einer Lösung kommt. Aber immerhin ist die Diskussion in Gang gekommen und wird weitergehen.Mit den besten Segenswünschen und freundlichen Grüssen
Felix Gmür
Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz»

Angefangen habe alles «unspektakulär». Esther Wolf wollte wissen, wie Politik funktioniert. Als Frau eines gutverdienenden Anwalts in Zürich – und Mutter dreier Kinder – war sie nicht erwerbstätig. «So hatte ich Zeit, mich über politische Vorgänge zu informieren», sagt sie.

Von der FRAP zu den FDP-Frauen

Zu Beginn sei sie links gewesen, meint sie fast entschuldigend. Sie besuchte Veranstaltungen der Zürcher Frauengruppierung «Frauen Macht Politik» (FRAP), später jene der CVP-Frauen, seit gut 20 Jahren jene der FDP-Frauen. Bereits da unterstützte sie punktuell Anliegen, indem sie Briefe an Exponentinnen und Exponenten schrieb. Selbst ein Amt zu übernehmen, kam für sie nicht infrage.

Eine gewisse Eigenwilligkeit habe sie von ihrem Vater, erzählt Esther Wolf beim Spaziergang in Sarnen. Dort führt sie auch zum vierstöckigen Haus, in dem sie aufgewachsen ist. Das Parterre ist eine einzige Ladenfläche – mit rundum Fensterflächen. «Das hat mein Vater so gewollt – und es ist heute noch aktuell», sagt Esther Wolf. Auch sonst habe er Ansichten gehabt, die niemand in Sarnen teilte.

Als Kind fast ertrunken

Ihr Vater, ein gelernter Seiler, war Unternehmer mit eigenem Geschäft. Die Mutter arbeitete mit. «Als Kind von geschäftsführenden Eltern war ich viel allein», erzählt Esther Wolf auf dem Weg zum See. Dort angekommen, zeigt sie auf die Badeanstalt. Da sei sie als Kind jeweils schwimmen gegangen, ganz allein. Ihre Schwestern sind jünger.

«Zweimal meinte ich zu ertrinken, ich hatte grosse Angst.» Doch sie kämpfte sich aus dem Wasser, aus eigener Kraft. Vielleicht lernte sie damals, sich als Einzelkämpferin zu behaupten. Sie setzt sich auf die Ufermauer, lächelt in die Kamera.

Ermutigung vom damaligen Jesuitenprovinzial

Die meisten Reaktionen auf ihre Briefe waren bisher nichtssagend – oder gar abweisend. Esther Wolf erlebt ihr Engagement denn auch als «Durststrecke». Als einziger Katholik «von Wichtigkeit» – wie sie sagt – antwortete der damalige Schweizer Provinzial der Jesuiten positiv, Christian Rutishauser. «Er sagte, was ich mache, sei gut, ich solle weitermachen.»

Das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls habe immerhin gemerkt, dass sie sich nicht das erste Mal meldete. Der zuständige Assessor dankte im Sommer 2018 für ihr Schreiben. Darin habe sie «Papst Franziskus erneut persönliche Gedanken zum Diakonat der Frau» vorgelegt. Dieser bitte sie, für ihn zu beten. Mehr steht da nicht.

Erster Schritt zur Gleichberechtigung

Weshalb sie sich nicht fürs Frauenpriestertum einsetze, geht die Frage an die Katholikin, die sich als Feministin bezeichnet. «Aus Vernunftgründen», sagt sie. Es sei unklug, mit der Maximalforderung in Sachen Gleichberechtigung in der Kirche vorzupreschen. Aktuell müsse der erste Schritt gelingen – hin zum Frauendiakonat. Den Kampf fürs Frauenpriestertum müsse die nächste Generation führen. Ihre bescheidene Forderung komme bei einigen Männern gut an, sagt sie.

Weihe mit Wirkung

Die Katholikin spricht der Weihe eine besondere Wirkung zu. Ein Diakon – und vielleicht irgendwann auch eine Diakonin – verkörpere ein ganz anderes Selbstbewusstsein als andere Theologinnen und Theologen in der Seelsorge, sagt sie bestimmt. Er sei in den Pfarreien auch viel eigenständiger in seinen Entscheiden.

Die Diakonats-Verfechterin ist in keinem Verein und keiner Gruppierung ehrenamtlich engagiert, auch nicht in den reformorientierten kirchlichen Gruppierungen «Allianz Gleichwürdig Katholisch», der Junia-Initiative oder dem «Catholic Women’s Council». Sie sagt von sich: «Ich bin vom Fussvolk.» Sie besucht die monatliche Frauenmesse in der Liebfrauenkirche Zürich – als Mitglied des Frauenvereins der Pfarrei. Ebenso nimmt sie an den «Draussen vor der Tür»-Gottesdiensten in Aargauer oder Zürcher Pfarreien teil, die Maria von Magdala ins Zentrum rücken.

Grossmutter von sechs Enkelkindern

An Gottesdiensten wirkt sie nicht mit – auch nicht als Lektorin. «Ich mache genug für die Kirche», ist sie überzeugt. Zudem habe sie drei Kinder und sechs Enkelkinder. Diese betreut sie gelegentlich. Die Verantwortung für ihre Enkel liege bei den Eltern, hat sie ihrem Nachwuchs mitgeteilt.

Esther Wolf ist geschieden und wohnt im Haus einer Tochter und deren Familie – in einer eigenen Wohnung im obersten Stockwerk. Vor ihrer Zugfahrt nach Sarnen hat sie den Handwerkern die Tür geöffnet – für Reparaturarbeiten im ganzen Haus. Zum Abschied winkt sie lächelnd vom Bahnsteig. Sie wird eine Schulfreundin besuchen, bevor es wieder nach Hause geht. (kath.ch)