«Wir sind überrollt worden»: 107 kirchliche Mitarbeitende machen Missbrauchs-Protest publik

«Ich hoffe sehr, dass die bedrückende Situation in der katholischen Kirche infolge der veröffentlichten Missbrauchsstudie nun dazu führt, dass endlich von den Amtsträgern und den Bischöfen ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, Reformen einzuleiten – und ich schliesse mich damit ein», sagt der St. Galler Dompfarrer Beat Grögli.

«So nicht!»

Grögli ist neben Hildegard Aepli und Stefania Fenner Mitinitiator der Zeitungsanzeige. Diese wurde unter dem Titel «So nicht!» am Samstag, 16. September, in der Lokalausgabe des St. Galler Tagblatts publiziert.

«Wir wollen anders Kirche sein und setzen uns tagtäglich dafür ein», heisst es in dem Inserat. «Die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und der Umgang damit verlangen einen Kultur- und Strukturwandel. Damit sich wirklich etwas ändert, müssen grundlegende Mechanismen der Kirche angegangen werden.»

Fünf Punkte aufgelistet

Dann werden in der Zeitungsanzeige fünf Punkte aufgelistet, die den 107 Unterzeichnenden besonders reformbedürftig erscheinen: «Die Machtfrage, Sexualmoral, Priesterbild, Rolle der Frau: Gerechtigkeit!, Ausbildungs- und  Personalpolitik.» Reformdauerbrenner, die schon seit Jahren vielen Katholiken unter den Nägeln brennen.

Das Beeindruckendste an der Anzeige sind wohl die 107 mit vollem Namen erwähnten kirchlichen Mitarbeitenden aus dem Dekanat St. Gallen, das heisst: aus St. Gallen und Umgebung. Sie tragen das Anliegen auf diese Weise explizit mit und bekunden Solidarität.

Schnelle Aktion: 58 Frauen, 49 Männer

«Wir haben den Text am Mittwoch gemeinsam entworfen, am Donnerstag haben wir die einzelnen Mitarbeitenden angeschrieben und am Freitagmorgen musste die Anzeige schon der Zeitung vorliegen», berichtet Beat Grögli über die Geschwindigkeit der Aktion.

«Wir sind von der Missbrauchsstudie völlig überrollt worden», beschreibt Grögli die «unglaubliche Betroffenheit» der Unterzeichnenden – von denen 58 Frauen und 49 Männer sind. «Wir treten in unserer täglichen Seelsorge dafür ein, eine andere Kirche sein und leben zu wollen. Dies wollten wir mit der Anzeige in erster Linie zum Ausdruck bringen», sagt der St. Galler Dompfarrer.

Dass mehrheitlich Frauen die Protest-Anzeige mit unterzeichneten, führt Grögli zum einen darauf zurück, dass in der Kirche eben inzwischen sehr viele Frauen arbeiteten. «Zum anderen reagieren Mütter und Frauen wohl noch sensibler und betroffener auf die Tatsache missbrauchter Kinder und Minderjähriger.»

Frauen wollen mehr Verantwortung übernehmen

Nicht zuletzt sei die Vielzahl an Frauen als Unterzeichnende sicher auch ein klares Zeichen dafür, dass Frauen in der katholischen Kirche bereit seien, so Grögli, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Eine Reaktion von Bischof Markus Büchel habe es bislang noch keine gegeben – das habe man so auch nicht erwartet. «Wir haben aber unglaublich viele positive Reaktionen von anderen Seelsorgenden, Kolleginnen und Kollegen aus der Kirche und darüber hinaus auf unsere Anzeige erhalten», sagt Grögli und freut sich.

«Enttäuschung, Wut und Ohnmacht Raum geben»

Am Montagabend haben Hildegard Aepli, Stefania Fenner und Beat Grögli im Zusammenhang mit der Missbrauchsstudie zu einem Zusammenkommen in der Kathedrale in St. Gallen um 19.30 Uhr eingeladen. «Gemeinsam versuchen wir, der Enttäuschung, der Wut und der Ohnmacht Raum zu geben», sagt Grögli. (kath.ch)